Birgit Zocher

Birgit Zocher begann 1979 an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar Bauingenieurwesen mit dem Schwerpunkt Baustoffverfahrenstechnik zu studieren und schloss ihr Studium 1984 als Diplomingenieurin ab. Im Anschluss arbeitete sie als Bauingenieurin im Wohnungsbaukombinat Dresden und als Laborleiterin im Fertigteilwerk Coswig. 1992 wechselte sie zu Otto Quast Fertigbau Sachsen und war als Projekt- und Bau- und stellvertretende Betriebsleiterin sowie in der Kalkulation tätig. 2012 begann Zocher für das Betonwerk Oschatz GmbH zu arbeiten, sie war Geschäftsführerin und ist seit 2020 Prokuristin und Produktionsleiterin.

Das Projekt

Herstellung von Betonfertigteilen

Betonfertigteile funktionieren wie ein 3D-Puzzle. In kürzester Zeit, fast unabhängig vom Wetter, können aus ihnen auf der Baustelle Gebäude ohne Betonierarbeiten und unter Beibehaltung einer gleichbleibenden Qualität entstehen. Das Betonwerk Oschatz fertigt seit 1990 als eines der modernsten Fertigteilwerke Europas Stahlbeton-Fertigteile für den Industrie- und Gewerbebau, den Wohnungsbau und den Landwirtschaftsbau. Die Fertigungsarbeit erfolgt in zwei großen Produktionsbereichen mit sehr unterschiedlichen Fertigungsprozessen und Planungsaufwand.

In der automatisierten Umlaufanlage entstehen Halbfertigteile für Decken und Doppelwände. Roboter setzen die Schalung, die Bewehrung wird über eine Schweißanlage automatisch zusammengefügt und der Betonverteiler betoniert auf die gewünschte Elementstärke.

Mehrschalige Wandelemente entstehen durch einen Dopplungsprozess der einzelnen Schalen. Dazu wird mittels einer speziellen Hebevorrichtung die erste Schale der Wand auf einen großen Saugwenderahmen gelegt und mit Unterdruck angesaugt. Das angehobene Element wird gewendet und anschließend auf die frisch betonierte zweite Schale in vorgeschriebenem Wandstärkenabstand abgesenkt. Unterstützt wird dieser Fertigungsprozess in vielen Zwischenschritten von Mitarbeiter*innen und qualifizierten Facharbeiter*innen im Werk, die in der Verfahrenstechnik und hochautomatisierten Fertigung ausgebildet sind. Im zweiten Produktionsbereich werden in der Tischlerei Negativformen gebaut und im Bereich Bewehrungsaufbau findet die Herstellung der Betonstahlkörbe statt. Im Fertigungsbereich wird mit dem Beton alles zum Fertigteil verbunden. Erfolgen abweichend zu den konventionellen Halbfertigteilen besondere Anfertigungen wie die 4 cm dünnen, carbonbewehrten Betonelemente für das Doppelwandsystem des Carbonbetongebäudes C3 CUBE in Dresden, wird die automatisierte Betontechnik umprogrammiert, so dass auch minimierte Fertigungslagen produziert und im Saug-Wende-Bereich die sehr dünnen Platten angesaugt und gewendet werden können.

Das Projekt in Zahlen

Betonwerk Oschatz GmbH
Ort Oschatz
Gegründet 1888 als Zementwarenfabrik / 1990 Betonwerk Oschatz GmbH

Porträt

Aus Liebe zum Beton

Birgit Zocher ist eine Unternehmer-Ingenieurin, sie ist begeisterte Spezialistin und stellt ebenso ihr kommunikationsfreudiges Führungs- und Organisationstalent unter Beweis. Dabei dreht sich alles um den Beton, wie dieser stofflich optimiert und verarbeitungstechnisch produziert werden kann und dann als Fertigteilprodukt erfolgreich Verwendung findet. Zocher experimentiert mit dem Werkstoff, behält die hochtechnisierten Anlagen des Werks im Blick und unterstützt die Mitarbeitenden in den unterschiedlichen Fertigungsprozessen eines modernen Betonwerks. Sie schätze diesen Beruf, bekennt Zocher, weil er für sie nicht nur ein Beruf, sondern Erfüllung sei. Darum habe sie ihren Töchtern vermittelt, wie wichtig es sei einen Beruf zu ergreifen, der nicht nur Rechnungen bezahle, sondern sie auch erfülle.

Ihre Faszination für Beton und ihre große Lust, diesem Baustoff neue Seiten abzugewinnen, findet immer wieder den Weg in besondere Bauvorhaben. So kommt ihr Wissen auch dem C3 – CUBE in Dresden, dem weltweit ersten Versuchshausaus Carbonbeton, zu Gute.

Die Leidenschaft für den Baustoff Beton hat mich im Studium erfasst und nie wieder losgelassen. Seitdem begleitet mich Beton jeden Tag. Er ist er in seiner chemischen Zusammensetzung faszinierend, in seiner Verarbeitung hochanspruchsvoll und im Endergebnis so individuell wie das Bauwerk selbst. Diesen Baustoff an seine Grenzen und darüber hinaus zu bringen, ist eines der Dinge, die mich anspornen.

Zocher fühlt sich in ihrem Studium als gleichberechtigt wahrgenommen. »Gefördert wurde die Leistung, da war es egal ob man Studentin oder Student war«, erinnert sie sich. Mit dem Einstieg in das Berufsleben ändert sich die Situation »Man muss mit ganz viel Fachwissen, mit einer offenen Art und mit einer klaren Ansage in dieser männerdominierten Berufswelt agieren. Aber man muss hier als Frau wirklich, und das ist kein Klischee, sehr viel mehr Leistung zeigen, um einem Mann gleichgestellt zu sein«, sagt Zocher.

Um unter diesen Bedingungen auch führend erfolgreich zu sein, brauche man viel Kraft und müsse bereit sein, die berühmte Komfortzone zu verlassen, erklärt Zocher und ergänzt, dass die Unterstützung durch eine starke Familie nicht fehlen dürfe. Damit mehr Frauen sich den Weg zutrauen und erfolgreich gehen, schlägt sie ein früh einsetzendes Mentoringprogramm für ambitionierte Berufsanfängerinnen vor, in dem ihre Erfahrungen und Entscheidungen durch Rat und Austausch begleitet werden.

 

Im Gespräch mit Birgit Zocher