Charlotte Bofinger

Charlotte Bofinger begann 2010 Bauingenieurwesen an der Universität Stuttgart zu studieren und schloss 2013 ihr Bachelor- und 2015 ihr Masterstudium mit Schwerpunkt Modellierung und Simulation ab. Sie war anschließend bis 2019 im Büro Conzett Bronzini Partner AG in Chur als Tragwerksplanerin beschäftigt. 2019 ging sie für drei Monate in Europa auf Reisen und arbeitete auf privaten Baustellen im Bereich des nachhaltigen und traditionellen Bauens. Im Büro Thomas Ekwall Tragwerksplaner ETH in Chur konnte sie 2020 ihren ersten ressourcenschonenden Umbau umsetzen. Seit 2018 setzt sie sich in Weiterbildungen und intensivem Selbststudium mit nachhaltiger Bauweise auseinander. Im Jahr 2020 studierte und forschte sie im Rahmen des Fortbildungsstudiums Regenerative Materialien – earth. bio-based. reused an der ETH Zürich. Seit Mai 2021 ist sie bei Zirkular in Basel beschäftigt. Sie ist Gründungsmitglied des Rethink Materials Kollektivs und engagiert sich als aktives Mitglied bei Architects for Future.

Das Projekt

Zirkuläres Bauen

Die Baubranche zu dekarbonisieren und in eine Kreislaufwirtschaft zu überführen ist ein komplexes Unterfangen, bei dem Gebäude und Infrastrukturen immer wieder repariert und transformiert werden müssen. Es geht um eine Bauweise, bei der bereits vorhandene Bauelemente und Baumaterialien durch Wiederverwendung für eine lange Zeit und ohne Qualitätsverlust in geschlossenen Kreisläufen verbleiben.

Dabei kommt dem Tragwerkserhalt und der Betonwiederverwendung ein zentraler Stellenwert zu, der dem Recycling vorzuziehen ist. Betonrecycling beinhaltet lediglich das Ersetzen von Primärkies durch gebrochenen Beton, dadurch werden Ressourcen geschont, nicht jedoch die Treibhausgas-Emissionen gesenkt.

Auch wenn das Verfahren einer uralten Tradition folgt, wirft das gegenwärtig noch neue Arbeitsfeld viele Fragen auf, die in iterativen Prozessen bearbeitet werden müssen, da Kenndaten zu den Bauteilen häufig lückenhaft vorliegen, Haftungs- und Gewährleistungsfragen nicht eindeutig zu klären und Regelungen nicht vorhanden sind. Die Auslotung der Möglichkeiten, Gebäudeteile aus Stahl und Stahlbeton wiederzuverwenden, gehört zu Charlotte Bofingers aktuellen Schwerpunktthemen bei Zirkular, einem Planungsbüro für Wiederverwendung und Kreislaufwirtschaft im Bauwesen.

Damit ein Bauteil aus einem Quellobjekt entnommen und in einem Zielobjekt neu verbaut werden kann, müssen die Logistik, Lagerkapazitäten und Besitzverhältnisse geklärt werden. Gleichzeitig werden die übergeordneten Prozesse entwickelt. Wie können Stahlträger geprüft werden, welche können wo weiter eingesetzt werden? Wer gibt dafür die Garantien, wie lässt sich eine Beschichtung entfernen, wie die Stahlgüte testen und welche Expert*innen braucht es für diese Einschätzungen? Diese Fragen beantwortet Zirkular nicht allein, vielmehr laufen sie dort zusammen.

Das Projekt in Zahlen

Projekt Konzeptentwicklung Planungstool Wiederverwendung
Kategorie Vorstudie
Auftraggeberin Stadt Zürich, Amt für Hochbauten
Projektteam Charlotte Bofinger, Andreas Oefner, Zirkular GmbH Basel
Partnerin  digvis GmbH

Porträt

Radikal Re-Use

Charlotte Bofinger rettet Bauteile, damit sie nicht im Abfall landen und setzt ihr Wissen als Bauingenieurin ein, um diese Bauteile in neuen oder umzubauenden Bauwerken wiedereinzusetzen. Ihre Tätigkeit besteht sowohl in der konkreten Projektarbeit als auch in der Grundlagenentwicklung. Das von ihr mitgegründete Rethink Materials Kollektiv widmet sich in Vorträgen, Workshops und Ausstellungen dem Thema Wiederverwertbarkeit, um das Interesse an regenerativen Baumaterialien und Bauweisen zu fördern.

Zwischen unserem Berufsalltag und der Notwendigkeit, innerhalb der planetaren Grenzen zu leben und zu bauen, besteht eine große Diskrepanz. Wir müssen vielmehr den Einsatz gebrauchter Bauteile vorantreiben, um Abfall, Rohstoffabbau, Graue Energie und CO2-Emissionen zu reduzieren.

Charlotte Bofinger wägt bei der Wahl des Studiums zwischen Design, der Berufswahl ihrer Eltern, Geschichte und Bauingenieurwesen ab. Es reizt sie, zu verstehen wie alles zusammenhängt, aber sie möchte auch kreieren und entscheidet sich, Bauingenieurin zu werden. Der Besuch eines technischen Gymnasiums und ihr Talent für Mathe legen diese Entscheidung zusätzlich nahe. Rückblickend stellt sie jedoch fest, dass man als Schülerin auffällig gut in Mathe sein müsse, damit einem zu einer Berufswahl mit technischer Ausrichtung geraten wird, einem Jungen würde diese Option dagegen viel selbstverständlicher vorgeschlagen.

Das Bewusstsein für das Ausmaß an Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen im Bauwesen entsteht bei Bofinger bereits, als die nun allgegenwärtigen Zahlen von 40 % verursachter CO2-Emissionen allgemein und 8 % bei der Zementherstellung noch kaum als Argument für ein Umdenken herumgereicht werden.    

Mit zunehmender Auseinandersetzung wächst ihr Bedürfnis, ihre Rolle und ihre Aufgaben in der notwendigen radikalen Transformation der Baupraxis zu finden.

Sie beschließt, eigenständig und in verschiedenen Kursen weiter zu studieren und zu forschen, um die konventionellen Bautechniken zu hinterfragen. 2019 begibt sie sich auf eine Reise, die sie zu verschiedenen privaten Baustellen im Bereich des nachhaltigen und traditionellen Bauens in Europa führt.

Fast anderthalb Jahre verbringt sie vorwiegend mit Selbststudium und im intensiven Austausch und Engagement im Rahmen ihrer ehrenamtlichen Arbeit für das Rethink Materials Kollektiv und Architects for Future. Es ist eine intensive Zeit, in der sie alles in sich aufsaugt, was es über regenerative Bauweisen zu lernen gibt.

Ein Berufsalltag, in dem die notwendigen Reaktionen auf die Herausforderungen der Klimakrise ausbleiben, in Verbindung mit noch vorhandenen patriarchalischen Verhaltensformen und reproduzierten Geschlechterstereotypen, stellt für Bofinger jedoch einen Zustand dar, an dem sie fast verzweifelt.

Bofinger beginnt, diese Erfahrungen miteinander zu verknüpfen und initiiert den Austausch zur Frage, wie der eigene Beruf und die Arbeitswelt an sich für eine zukunftsfähige, nachhaltige und sozial gerechte Welt eingesetzt und verändert werden kann. Im Büro Zirkular, in dem sie seit 2021 beschäftigt ist, kann sie die Ideen zu einer solchen ökologischen und sozialen Transformation vorantreiben und schätzt sich glücklich, dass ihre Reise sie dorthin geführt hat.