Roma Agrawal

Roma Agrawal ist seit 2017 Associate Director bei AECOM. Ab 2015 war sie Design Managerin bei Interserve und von 2005 bis 2015 arbeitete sie im Ingenieurbüro WSP in London. Sie diplomierte dort 2011 im  Rahmen eines Abschlussprogramms zur Bauingenieurin. Agrawal wurde in Mumbai, Indien geboren, machte Station in London und den USA und kam für ihre letzten zwei Schuljahre mit sechzehn Jahren nach London zurück. 2004 erhielt sie einen BA in Physik an der University of Oxford und 2005 einen MSc in Structural Engineering am Imperial College London. Für ihre Tätigkeit als Bauingenieurin und ihre Bemühungen um die Profession erhielt sie zahlreiche Preise. Sie erklärt in Podcasts und Filmbeiträgen die Welt des Bauingenieurwesens, besucht Schulen und Universitäten und wirbt an unzähligen Stellen für den Ingenieurberuf.
 

Das Projekt

The Shard, London

Nach 14-jähriger Planungs- und Bauzeit wurde das imposante Hochhaus The Shard (deutsch: Scherbe) nach den Entwürfen von Renzo Piano 2012 fertiggestellt. Das gläserne, pyramidenförmige Gebäude umfasst 72 Stockwerke mit verschiedenen Nutzungen wie Wohnen, Arbeiten und Einkaufen. Auf der obersten Ebene befindet sich eine öffentlich zugängliche Aussichtsplattform. Für die Konstruktion kamen verschiedene Bauweisen zum Einsatz. Die Untergeschosse wurden in massivem Stahlbeton gebaut, die ersten 40 oberirdischen Ebenen wurden als Stahlgerüst mit Geschossdecken in Stahlbetonverbundbauweise ausgeführt. Ab der Ebene 41 ging man zu massiver Stahlbetonkonstruktion mit Spannbeton-Deckenelementen über. Die Spitze wurde ab Ebene 69 wieder in Stahlbauweise errichtet. Über alle Geschosse erstreckt sich in zentraler Position der massive, aussteifende Betonkern.

Für die Gründung konnten die bestehenden Betonpfähle des Vorgängerbaus nicht genutzt und auch nicht zurückgebaut oder durchbohrt werden, sodass die neuen Pfähle um die Bestandspfähle herum platziert werden mussten.

Die gewählte Anwendung der Top Down– Methode reduzierte die Bauzeit enorm.

Der Betonkern der ersten 23 Stockwerke konnte so bereits errichtet werden, bevor das Fundament komplett ausgegraben war.

Die 66 Meter hohe Turmspitze umfasst 23 Stockwerke und besteht vorwiegend aus Stahl und Glas. Die Einbauhöhe von 300 Meter über dem Grund erforderte besondere Maßnahmen, um die Gefahren während der Arbeit am Bau zu minimieren. Das Stahltragwerk kam daher inklusive der Deckenkonstruktion in 3 Meter breiten Elementen vormontiert auf die Baustelle, diese wurden dort zusammengesetzt und an der luftigen Position eingebaut.

Das Projekt in Zahlen

Bauherr*in Sellar
Architektur Renzo Piano Building Workshop
Berater*innen Planungsphase 1, 2000–2003 Ove Arup & Partners (Tragwerk, Gebäudetechnik); Lerch, Bates & Associates (Aufzugsplanung); Broadway Malyan (Beraten- der Architekt)
Berater*innen Planungsphase 2, 2004–2012 WSP (Tragwerk, Geotechnik, Akus- tik); Ove Arup & Partners (Gebäudetechnik); Lerch, Bates & Associates (Aufzugsplanung); Davis Langdon (Kostenkontrolle); Townshend Architects (Landschaftsarchitektur);
Pascall + Wason (Architekt Bahnhof)
WSP-Team Roma Agrawal, Rodolfo Giannini, Ian van Hek, Richard Mawer, Kamran Moazami, Donna Offen, John Parker und Ron Slade
Grundstücksfläche 126.712 m²
Nutzfläche 83.104 m²
Höhe 309,6 m
Bauzeit 2009–2012

Porträt

Die richtige Sprache finden

Eines der komplexesten Bauprojekte Großbritanniens ist sechs Jahre lang Roma Argrawals Herausforderung als Bauingenieurin. Sie arbeitet von 2005 bis 2011 im Büro WSP an der Entwicklung der Fundamente und der ikonischen Spitze des Hochhauses The Shard in London. Eine Gelegenheit, die sich, wie sie sagt, nur ein oder zweimal in einer Karriere ergibt.

Eine mathematisch-naturwissenschaftliche Begabung ist die Grundlage für Agrawals Interesse am Bauingenieurwesen, auf das sie jedoch nicht gradlinig zusteuert. Die Förderung von MINT-Fächern erlebt Agrawal in Indien, wo sie aufwächst, bis sie mit 16 Jahren für ihren Schulabschluß nach London kommt, als selbstverständlich und bekommt vermittelt, dass Mathematik und Naturwissenschaften wichtige Bausteine der Ausbildung auch für Mädchen sind. Die Entscheidung Bauingenieurin zu werden, fällt sie mit 20 Jahren während eines Sommerjobs, bei dem sie mit Ingenieur*innen zusammenkommt. «Ich sah, wie man Mathe und Physik auf reale Situationen anwendet.» Nach dem Bachelor in Physik an der University of Oxford schließt sie in nur einem Jahr ihren Master im Bauingenieurwesen am Imperial College London ab.

Wenige Frauen können ihr in der Berufswelt als Vorbild dienen, und sie beginnt sich nach Unterstützung und Förderung umzusehen. Sie bewirbt sich erfolgreich auf Preise. Nach und nach ergibt sich ein Netzwerk, mit dem sie noch heute im Kontakt ist.

Die eigene Stärke zu erkennen sei zentral, betont sie immer wieder. Ihr selbst wird nach etwa sieben Jahren im Beruf klar, dass die Fähigkeit zu kommunizieren, ihre persönliche Stärke ist. Denn, so Agrawal, egal wie clever man ist und wie toll die Ideen sind, wenn ich sie einem Nicht-Ingenieur nicht gut erklären kann, ist das nutzlos.

Ungemein wichtig ist die Fähigkeit, die richtige Sprache zu finden. Oder besser: kommunizieren zu können. Zeichnen ist Teil der Kommunikation. Ich ermutige Bauingenieur*innen, sich darin zu üben. Wenn sich junge Bauingenieur*innen bei mir vorstellen, dann bitte ich sie häufig, mir etwas zu zeichnen. An diesen Skizzen kann ich eine Menge über die Bewerber*innen ablesen.

So hat sie das Kommunizieren zur ihrer Kernkompetenz gemacht, bis dahin, dass sie nun vor allem Bücher schreibt, in Podcasts und Filmen die Welt der Statik erklärt, an Schulen Kinder für den Ingenieurberuf begeistert, kurz, building stories erzählt.

 

Im Gespräch mit Roma Agrawal

https://www.buildingstoriespodcast.com
https://www.romatheengineer.com
Roma Agrawal: Die geheime Welt der Bauwerke, Hanser, 2018
(engl.): Built.The hidden stories behind our structures, Bloomsbury Academic, 2018