Simone Stürwald studierte von 1998 bis 2002 an der Fachhochschule Münster und zusätzlich bis 2004 an der TU Braunschweig Bauingenieurwesen. Sie arbeitete anschließend bis 2006 als Tragwerksplanerin im Büro Bow Ingenieure in Braunschweig. Von 2006 bis 2011 forschte sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Kassel zum Tragverhalten von Ultrahochleistungsbeton. Stürwald wurde 2012 zur Professorin an die OST— Ostschweizer Fachhochschule in Rapperswil berufen. Sie unterrichtet Bauingenieurwesen, entwickelt am Institut für Bau und Umwelt (IBU) anwendungsorientierte Lösungen im Bereich Nachhaltige Konstruktion und leitet die Prüfstelle für Baustoffe sowie verschiedene Research and Development Projekte. Sie ist Mitglied in nationalen und internationalen Normungskommissionen und Gremien u.a. im Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein (SIA), der International Federation for Structural Concrete (FIB) und verschiedenen Gremien zu nachhaltigem Bauen.
Beton ist der meistverwendete Baustoff der Welt und seine Verarbeitung maßgeblich verantwortlich für den zunehmenden Verbrauch an materiellen und energetischen Ressourcen. Zur Entwicklung eines zukunftsfähigen Betons experimentiert Simone Stürwald und das Forschungsteam für Nachhaltige Konstruktion an der Ostschweizer Fachhochschule OST in verschiedenen Ansätzen zu ressourceneffizienten Betontechnologien, deren Ergebnisse schnell in praxistaugliche Anwendungen für die Beton- und Bauindustrie übersetzt werden. Diese Untersuchungen zielen zum einen auf die Veränderung der Zusammensetzung der Inhaltsstoffe ab, um den Zementgehalt der Betone, der bei normalem Beton für rund 95% der CO2-Emissionen verantwortlich ist, zu verringern. Mit einer Optimierung der Korngrößenverteilung konnte zunächst in Versuchen die Zementmenge um 40 % reduziert und dennoch hohe Festigkeiten gewährleistet werden. Sobald in der Norm diskrete Mindestzementgehalte in absehbarer Zeit aufgehoben werden, sind Reduktionen von 20% und mehr je nach Ausgangsrezeptur möglich.
Neben der Verringerung des Zementanteils wird in einem zweiten Ansatz die Entwicklung von klimaneutralem Beton untersucht. In dem dabei entstandenen Betonprodukt KLARK kommt Pflanzenkohle als Zusatzstoff zum Einsatz, die in diesem Fall aus Holzabfällen aus der regionalen Forstwirtschaft stammen und in einem Pyrolyseverfahren unter Sauerstoffabschluss verkohlt werden. Das aufgenommene CO2 der Pflanzen wird als Kohlenstoff verfestigt und dauerhaft gespeichert. In Versuchsreihen wurde an der OST eine Rezeptur gefunden, die den Anforderungen eines Hochbaubetons entspricht und gut zu verarbeiten ist.
Mit der schließlich eingebrachten Menge an Pflanzenkohle gelingt es, mindestens 200 Kilogramm CO2 pro Kubikmeter Beton, die bei der Herstellung anfallen, zu neutralisieren. Im März 2022 ging der Beton als Produkt auf den Markt und wird als klimaneutraler Beton in der Schweiz angeboten.
Ein Projekt der OST - Ostschweizer Fachhochschule, Institut für Bau und Umwelt, Rapperswil
Die notwendige ökologische Optimierung des Betons und damit des Betonbaus steht im Mittelpunkt der Forschungstätigkeit von Simone Stürwald.
Ich nehme Forschungsergebnisse und übersetze sie so für die Unternehmen, dass sie praxistauglich werden und eine Umsetzung in der Breite finden, auch wenn sie dabei etwas an Effektivität verlieren.
Sie widmet sich dem hochkomplexen Material Beton seit 20 Jahren und führt Materialuntersuchungen über hochfeste und ultrahochfeste Betone bis hin zu Faserbetonen und erdbasierten Baustoffen durch.
Das übergeordnete Ziel sei, so Stürwald, klimagerechte und materialsparende Tragwerke zu entwickeln, einen materialgerechten Einsatz der Baustoffe zu erzielen sowie grundsätzlich nach neuen Ansätzen des Bauens zu suchen.
Ihre Bemühungen zielen sowohl auf Kompensations- als auch Reduktionsmaßnahmen ab und sie setzt dabei auf eine enge Zusammenarbeit mit der Bauindustrie.
Sie kennt die Langwierigkeit der Prozesse. Um eine möglichst schnelle Umsetzung neuer Ansätze möglich zu machen, engagiert Stürwald sich in Gremien, die über Normungen und Regelungen befinden und arbeitet an einer Flexibilisierung hemmender Richtlinien. Es gelingt ihr, eine Arbeitsgruppe aus leitenden Vertreter*innen der Kommissionen ins Leben zu rufen, die materialübergreifend neue Impulse zu Normung und Gestaltung nachhaltiger Tragwerke aussendet.
Den Austausch über diese Möglichkeiten führt Stürwald zunehmend auf internationaler Ebene. Seit 2022 engagiert sie sich bei FALCONESS, einem Netzwerk aus Ländern West-, Süd- und Ostafrikas, das Architekt*innen, Planer*innen, Ingenieur*innen und Ökonom*innen zusammenbringt, um sich über nachhaltiges Bauen auszutauschen und um nach neuen Gestaltungsmöglichkeiten zu suchen.
Simone Stürwald ergeht es wie vielen Bauingenieurinnen. Das Interesse für Bauen lässt sie zunächst zwischen Architektur und Bauingenieurwesen schwanken. Ihre Entscheidung, die technische Ausrichtung einzuschlagen, führt sie auf ihre mathematisch – physikalische Begabung zurück. Ihre Mutter, die Vollzeit-Mathematiklehrerin ist, sei bei der Richtungsentscheidung ihr erstes weibliches Vorbild gewesen, erinnert sich Stürwald. An ihren Studentinnen an der OST beobachtet sie eine sehr zielgerichtete und selbstbewusste Haltung zur Berufswahl.
„Aber die Vorbilder fehlen“, sagt Stürwald. Und den immer noch vorherrschenden Bedenken zur Arbeit der Frau auf der Baustelle oder den Zweifeln an der Familienfreundlichkeit des Berufs müsse entgegengewirkt werden. Stürwald betont, dass es ein angepasstes, gleichberechtigtes Lebensmodell braucht, wenn für die Bauingenieurinnen die Familienplanung einsetzt und die Karriere weiter gehen soll. Nicht zuletzt sieht sie die Unternehmen in der Verantwortung, die Chancen der Frauen im Blick zu behalten. Es sei nicht immer einfach, meint Stürwald, aber es gebe auch wunderbare Beispiele von Unternehmen, die das erkannt haben.